Es ist seit jeher in der Diskussion, wie einem todkranken Menschen ein menschenwürdiger Tod ermöglicht werden kann und ermöglicht werden darf. Das Spannungsfeld wird dadurch aufgebaut, dass nach allen religiösen, ethischen und strafrechtlichen Normen die Tötung eines Menschen verboten ist. Das fünfte Gebot besagt: „Du sollst nicht töten!“ Dieses Gebot findet bis heute in strafrechtlicher Hinsicht seine Ausprägung in § 212 StGB. Dort heißt es: „Wer einen Menschen tötet, (....) wird mit Freiheitsstrafe bestraft.“
Die Tathandlung des Tötens besteht in der Verursachung des Todes. Nach der Rechtssprechung des BGH ist darunter auch die Sterbebeschleunigung eines Todkranken zu verstehen, selbst wenn der
Todeseintritt nur um eine geringe Zeitspanne verkürzt wird.
Nach dem Selbstverständnis der Ärzte sind diese zur umfassenden Hilfeleistung verpflichtet. Dieses Selbstverständnis fand erstmals seine Ausprägung in dem so genannten Hippokratischen Eid, der etwa
500 v. Chr. verfasst wurde. Die heutige Fortsetzung der Grundgedanken des Hippokratischen Eides findet sich in dem Genfer Ärztegelöbnis, das 1948 vom Weltärztebund in Genf formuliert wurde und seit
1950 - leicht modifiziert - die Präambel für die Berufsordnungen der einzelnen deutschen Ärztekammern ist.
Den strafrechtlichen, religiösen und ethischen Grundsätzen, dass Leben grundsätzlich zu erhalten ist, steht das Selbstbestimmungsrecht des Menschen gegenüber. Gerade die medizinischen Möglichkeiten
erfordern eine Diskussion darüber, ob alle medizinischen Möglichkeiten in jedem Fall bis zu Ende durchgeführt werden müssen, selbst wenn dies nur zu einem Dahinsiechen des Patienten führt.
Die Diskussion um die ärztliche Sterbehilfe setzte in Deutschland erst sehr spät ein. Auf dem Hintergrund der als Euthanasie ausgegebenen Massenvernichtung im Dritten Reich scheuten sich sowohl Ärzte
als auch Juristen das Thema voranzubringen. Die Massenvernichtung war im Dritten Reich von Ärzten mitgetragen und von Juristen gerechtfertigt worden.
In einem ersten Urteil vom 13.09.1994 hat sich der BGH zum ersten Mal mit Fragen der Zulässigkeit des Abbruchs einer ärztlichen Behandlung befasst. Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt
zugrunde:
Die 70-järhige E. war seit Jahren nicht mehr ansprechbar, geh- und stehunfähig und konnte nur noch im Wege der künstlichen Ernährung am Leben erhalten werden. Anzeichen für Schmerzempfinden waren
nicht vorhanden. Eine Aussicht auf Besserung des Zustandes bestand ebenfalls nicht, da sie infolge eines Herzstillstandes irreversible Gehirnschäden erlitten hatte. Der behandelnde Arzt schlug dem
Sohn vor, diesen leidvollen Zustand dadurch zu beenden, dass statt der künstlichen Nahrung künftig nur noch Tee verabreicht werde. Dadurch würde der Tod binnen zwei bis drei Wochen eintreten, ohne
dass E. leiden müsse. Der Sohn erinnerte sich, dass die Mutter anlässlich einer Fernsehsendung über einen Schwerstpflegefall geäußert hatte, so wolle sie auf keinen Fall enden. Auf diesem Hintergrund
erklärte er sich mit dem vom Arzt vorgeschlagenen Behandlungsabbruch einverstanden.
Weil der Pflegedienstleiter rechtliche Bedenken gegen den Behandlungsabbruch hatte, zeigte er die Maßnahme an. Sowohl der behandelnde Arzt als auch der Sohn wurden wegen versuchten Totschlags
angeklagt. Im ersten Rechtszug wurden sie vom Landgericht Kempten beide für schuldig befunden. Der BGH sprach sie am 13.09.1994 in einer ersten grundlegenden Entscheidung vom Vorwurf des versuchten
Totschlags frei. Erstmals urteilte der BGH,
dass bei einem unheilbar erkrankten, nicht mehr entscheidungsfähigen Patienten der Abbruch einer ärztlichen Behandlung ausnahmsweise zulässig sein kann. Entscheidend sei der mutmaßliche Wille
des Patienten.
Der BGH betonte in diesem Zusammenhang, dass an der Ermittlung des mutmaßlichen Willens strenge Anforderungen zu stellen seien. Anzuknüpfen sei insbesondere an frühere mündliche oder schriftliche
Äußerungen des Patienten, seine religiöse Überzeugung, seine sonstigen persönlichen Wertvorstellungen, seine altersbedingte Lebenserwartung oder das Erleiden von Schmerzen.
Wenn die Entscheidung auch überwiegend in der Literatur auf ein positives Echo stieß, waren die kritischen Äußerungen nicht zu überhören. Auf Bedenken stieß die Entscheidung aus folgenden
Gründen:
Diese erste Entscheidung des BGH hat in der Folgezeit eine heftige Diskussion entfacht. Zwei Jahre nach dieser Entscheidung stellte ein ehemaliger vorsitzender Richter am BGH in einem Kommentar
fest, dass 50 Jahre nach der Massenvernichtung im Dritten Reich nunmehr die Diskussion um die ärztliche Sterbehilfe in vollem Gang sei.
Seit der ersten Entscheidung des BGH ist das Interesse der Bevölkerung an sogenannten „Patientenverfügungen“ auf immer breiteres Interesse gestoßen. Die Beurkundung von Patientenverfügungen ist
mittlerweile fester Bestandteil der notariellen Praxis.
Der letzten Entscheidung des BGH vom 17.03.2003 lag folgender Sachverhalt zugrunde
In der Entscheidung stellt der BGH zunächst fest, dass die einmal getroffene Entscheidung im Rahmen einer Patientenverfügung so lange Bestand hat, bis sie widerrufen wird. Damit ist der bisherige
Streit, ob die Patientenverfügung Bindungswirkung entfaltet, höchstrichterlich entschieden. Die einmal niedergelegte Patientenverfügung bleibt solange in Kraft, bis sie widerrufen wurde.
Auch die in der Vergangenheit wiederholt vertretene Ansicht, eine Patientenverfügung müsse in regelmäßigen Abständen erneuert werden, hat sich damit endgültig erledigt.
Der Wunsch des Patienten kann sich natürlich nicht nur darauf richten, dass unter bestimmten Voraussetzungen Behandlungen abgebrochen werden. Inhalt der Patientenverfügung kann auch der ausdrückliche
Wunsch sein, dass die Behandlung solange wie möglich fortgesetzt wird. Ein Wunsch nach Maximalbehandlung findet ihre
Grenze dann im Rahmen des bisherigen generellen Heil- und Pflegeauftrags.
Die Genehmigungspflicht der Umsetzung der Patientenverfügung kann nur auf den ersten Blick als Einschränkung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten gesehen werden. M. E. ist der Entscheidung des
BGH im Ergebnis zuzustimmen. Der juristische Laie wird für die gerichtliche Kontrollentscheidung durchaus dankbar sein. Auch dem Vollmachtgeber, dem nicht selten bei Errichtung einer
Patientenverfügung der Gedanke durch den Kopf geht, man werde sich seiner vielleicht allzu leichtfertig oder gar gezielt entledigen, wird die gerichtliche Kontrolle, ob die von ihm vorgegebenen
Voraussetzung für einen Abbruch der Behandlung vorliegen, ebenfalls begrüßen.
Nicht zuletzt der behandelnde Arzt wird durch die gerichtliche Kontrolle im Vorfeld vor späteren strafrechtlichen Verfolgungen geschützt.
Weiter unklar ist, inwieweit der in einer Patientenverfügung niedergelegte Wille auch Angehörige zum Handeln verpflichtet.
Künftig sind Patientenverfügungen auf eine sicherere rechtliche Grundlage gestellt. Der Bundestag hat am 18.06.09 gesetzliche Regelungen zur Patientenverfügung beschlossen, die bereits am 1.09.09 in
Kraft treten sollen.
Nach jahrelanger Diskussion ist nun klar: Die Selbstbestimmungsrecht des Patienten muss bei medizinischen Behandlungen beachtet werden, gerade auch dann, wenn der Patient selbst nicht mehr in der
Lage ist, Entscheidungen selbst zu treffen oder zu äußern.
Das Gesetz trifft künftig Regelungen sowohl zu den Voraussetzungen als auch zur Bindungswirkung von Patientenverfügungen. Der Wille des Patienten muss unabhängig von Art und Stadium seiner Erkrankung
respektiert werden, also auch dann, wenn die Krankheit nicht unbedingt tödlich endet. Bisher war umstritten, inwieweit der Arzt verpflichtet war, Willensbekundungen der Patienten zu beachten und
welche Anforderungen als diese Erklärungen zu stellen waren.
Das Gesetz verlangt künftig, dass die Patientenverfügung zumindest schriftlich erklärt wird. Der Betreuer oder Bevollmächtigte des Patienten hat jedoch gemeinsam mit dem behandelnden Arzt zu prüfen,
ob die Festlegungen noch auf die konkrete Lebens- und Behandlungssituation zutreffen. Kann eine Einigung nicht erzielt werden, trifft das Vormundschaftsgericht eine Entscheidung auf entsprechenden
Antrag.
Wie bereits bisher ist es die Aufgabe des Betreuers oder Bevollmächtigten, den Wünschen des Betroffenen Geltung zu verschaffen. Auf ihm lastet somit immer auch eine hohe Verantwortung. Wichtig ist
daher, rechtzeitig bei Einsetzung eines Bevollmächtigten mit ihm auch über diese Fragen zu reden, damit dieser zu gegebener Zeit Entscheidungen stets im Interesse des Vollmachtgebers treffen
kann.
Auch unter den neuen gesetzlichen Regelungen empfiehlt es sich daher, rechtzeitig vorzusorgen. Durch die Einsetzung eines Bevollmächtigten nach eigener Auswahl kann vermieden werden, dass durch das
Gericht ein Betreuer bestellt wird. Patientenverfügungen sollten möglichst konkret den Willen des Patienten zum Ausdruck bringen, damit später keine Fragen bei der Auslegung der Erklärungen
entstehen. Den höchsten Beweiswert haben nach wie vor notariell beurkundete oder beglaubigte Patientenverfügungen, oft zusammen mit einer Vorsorgevollmacht aufgesetzt. Der Notar hilft bei der
Formulierung, erläutert Bedeutung und Tragweite der Urkunde und beachtet dabei stets den rechtlich vorgegebenen Gestaltungsrahmen. Bei der Beurkundung prüft der Notar auch die Geschäftsfähigkeit des
Beteiligten und muss im Zweifelsfall die Beurkundung ablehnen.
Patientenverfügungen können ebenso wie Vorsorgevollmachten beim Zentralen Vorsorgeregister der Bundesnotarkammer registriert werden. Nach Angabe der Bundesnotarkammer sind derzeit ca. 900.000
Vollmachten registriert, davon ca. 600.000 verbunden mit einer Patientenverfügung. Die Vormundschaftsgerichte in Deutschland fragen das Register derzeit ca. 20.000 Mal monatlich ab.